Rundgang durch die Ausstellung
WALTER MORODER - Di per di

 
 


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Di per di. Auf Ladinisch meint das: Tag für Tag. Oder auch: Sagen um zu sagen. Und das, wo es doch ums Betrachten geht. In der Ausstellung unter diesem Titel zeigt Walter Moroder eine Gruppe seiner jüngsten Skulpturen, kontrastreich ergänzt mit einer Auswahl von Arbeiten auf Papier und auf Leinwand. Das Kernthema bleibt die Arbeit an der menschlichen Figur, das erlebnishaft hervortritt. Neben den prominenten menschengroßen Frauenfiguren mit ihren ins Leere gehenden Blicken zeigt die Ausstellung auch traktierte Körper und Kreaturen des Verschwindens sowie Köpfe als Teil von etwas, das einmal ganz war. Die Figuren betonen ihre Isolation und erdulden sehr heterogene Geschicke. Frauen mit anmutigem Antlitz in weißem Trägerkleid und schlichtem Dekolletee, ein Körper als Ameisennest, eine mumienhafte Stehende, eine weibliche Sitzfigur zentral am Boden in einer Kammer, die Wände mit anonymen elementaren Formen auf Papier gefasst. Wie bisher handelt es sich um Figuren der Nähe und gleichzeitig der Distanz. Sich durch das Medium der Bildhauerei den sinnlichen Erfahrungen widmen, die sich einstellen, wenn sich Menschen körperlich gegenüber stehen. Dabei verwischt sich das, was man gewöhnlich als abstrakt von real unterscheidet.


Das trifft zuerst auf den Bildhauer in der Werkstatt zu, der – anders als in der Fotografie – in seinen gemachten Figuren jede Repräsentation oder Illustration der humanen Anatomie vermeidet, zugleich aber Sensationen weckt, die auf menschliche soziale Codes verweisen. Vor allem gilt das für die weiblichen Stehenden mit schlanken Proportionen, deren einziger Zweck in ihrem Warten zu liegen scheint. In ihrer Distanziertheit verzichten sie auf Requisiten aus der realen Lebenswelt, und seit den Erfahrungen in der Ausstellung Sun Plaza (Galleria Ghetta, 2018) haben sie ihre wahre Bestimmung zudem in einer räumlichen Klausur gefunden. Für uns Betrachter wiederum ist es ein Eintreten in einen Nahbereich, der nicht vollständig wäre ohne unser Hinzutreten als Zuschauer, die wir auf der Suche nach Annäherung sind und uns als Voyeure oder Eindringlinge betätigen. Obwohl sich die Figuren mit ihrer offenen Präsenz als Objekte sinnlicher Betrachtung anbieten, scheinen umgekehrt wir Betrachtenden für sie abwesend und nicht relevant zu sein. Was wir sehen sind Verkörperungen von Erfahrungen, die vorzugsweise weiblich und seltener männlich sind, die ihr Ausgesetztsein, ihr Schweigen und ihre Blicke zur Schau tragen.


Die menschengroßen vertikalen Figuren stehen dominant aufrecht, ihre Augen schauen ins Leere, oder sie blicken – wenn sie geschlossen sind – in sich, und sie werden gesehen von uns, die wir sie betrachten. Es ist wie eine Demonstration, die uns mahnt: Bedenke, dass du gesehen wirst, wenn du sehen willst. Aber bemerke, was du siehst, bleibt nur eine Idee. Aus dieser Arbeit an der menschlichen Figur spricht ein anthropologisches Nachspüren, was humane Körper durch das Sichtbare von ihrem Dasein preisgeben, aber nicht, ohne gleichzeitig auch auf den Verlust von Gewissheiten oder Normen vorzubereiten. Indem wir versuchen nachzuempfinden, was diese Figuren an Erfahrungen in sich tragen, lässt man sich ein auf Dinge der Nähe und Ferne, auf die Materialität des menschlichen Körpers und Leibes und auf die unsichtbaren Kräfte, die dabei wirksam sind. Wir werden in die Lage versetzt zu begreifen, wie das unbekannte Eigene und das unsichtbare Fremde zusammengehören und das Körperliche nur der Schein einer Vergegenwärtigung des Anderen ist. Der Mensch ist nicht durchsichtig, nicht für sich und nicht für andere.


Markus Klammer